Klinda, Ferdinand Orgelregistrierung

Dieses Buch, das 1995 bei Breitkopf&Härtel in der 2.Auflage erschienen ist, was ganz sicher bei der gegenwärtigen Orgelliteratur eine besondere Auszeichnung ist, hat mich von Beginn an zutiefst begeistert.

Wir erfahren hier nicht nur etwas über die Orgelregistrierungen sondern ebenso über Orgelklang und Orgelgestalt. Und das natürlich immer, da sich das Buch zuerst einmal  an den Orgelspieler wendet, im Kontext zur Orgelliteratur, sprich zum Notenmaterial und den Kompositionen die für Orgel geschrieben wurden.

Also Historie, Orgeltyp- und Komposition, sein Klang und seine Beziehung zu den bestimmten Ländern und Zeiten darzustellen und  in einer dermaßen leicht zu lesenden Schrift zusammenzufassen, das war ein großes Kunststück, das Ferdinand Klinda hier gelungen ist.

Hier zunächst das Inhaltsverzeichnis des Buches:

Teil I Allgemeines zur Klanggestaltung

Einleitung

Historische Grundlagen der Registrierkunst

Theorien des Registrierens

Orgelbaukundliche Erkenntnisse

Probleme der Stimmungen

Registermischungen

Klangwechsel

Raumakustische Betrachtungen

Hörpsychologische Betrachtrungen

Der gute Geschmack

Teil II Stilregistrierungen

Registrierungen mittelalterlichen Orgelmusik

Registrierungen italienischer Orgelmusik des 16. bis 19.JH

Registrierungen niederländischer Orgelmusik des 16. bis 18.JH

Registrierungen  französischer Orgelmusik des 17. und 18.JH

Registrierungen englischer Orgelmusik des 16. bis 18.JH

Registrierungen spanischer Orgelmusik des 16. bis 18. JH

Registrierungen deutscher Orgelmusik des 16. bis 18.JH

Zur Registrierung de Orgelwerke Johann Sebastian Bachs

Registrierungen polnischer Orgelmusik des 17. und 18.JH

Registrierung der Orgelmusik des 19.JH

Registrierung der Orgelmusik des 20.JH

Klinda, Ferdinand (1995): Orgelregistrierunge /// Orgelregistrierung. Klanggestaltung der Orgelmusik /// Klanggestaltung d. Orgelmusik. 2., verb. Aufl. Wiesbaden u.a: Breitkopf & Härtel

 

Ich möchte auf unseren Blog über italienische Orgelregistrierung verweisen, wo ein größerer Auszug aus dem Buch vorgenommen wurde:

Grundlagen der klassischen italienischen Orgel und ihre Parallelen in Santa Cecilia

 Und ich möchte einen weiteren Auszug geben aus Kapitel 21 – Registrierungen der Orgelmusik des 19.JH.    

Kapitel 21

Registrierungen der Orgelmusik des 19.Jahrhunderts

 

Der für die Orgelmusik des 19.JH verwendete Begriff Orgelromantik schließt in sich viele unterschiedliche Stilmerkmale ein; darum bedeutet er kaum mehr als eine Sammelbezeichnung für einen allgemeinen, bereits im Bach-Zeitalter sich anbahnenden Entwicklungstrend. Die Musik des 19.JHs mit ihren  neuen inhaltlichen, kompositorischen und spieltechnischen Elementen entspringt einem geänderten Klangideal. Weil dies aber in krassem Widerspruch zu den Prinzipien der klassischen Orgelkunst steht, wurde die ganze Epoche der Orgelromantik, zumindest in Deutschland, aus der Sicht der Orgelerneuerungsbestrebungen des 20. Jahrhunderts lange als Verfallserschei­nung betrachtet und abgelehnt.

 

Die Klangwelt der Orgelromantik ist tatsächlich andersgeartet als die der vorherigen und nachfolgenden Epochen und kann nicht mit deren Maßstäben gewertet werden. Das Musikschaffen in der Zeit der Romantik basierte auf eigenen ästhetischen Grundsätzen und zielte auf andere Emotionsbereiche. Mit absoluten Wertschätzungen, mit klassischen Begriffen der Orgelkunde oder mit Berufung auf ein »immanentes Gesetz der Orgel« kann man nicht zum Verständnis der romantischen Orgelmusik gelangen. So wie in allen früheren Zeiten sind auch der romantische Orgelklang und seine Anwendung ein inte­grierter, unverwechselbarer Bestandteil der Epoche. Gewiß wird diese Musik auch auf anderen Orgeltypen gespielt – das ist das Schicksal aller Orgelmusik -, doch kann sie nicht nachträglich aus einem späteren Ideal erklärt oder »nachgestaltet« werden. Zum rechten Verständnis kommt man auch hier nicht ohne das Bewußtwerden der Einheit von inhaltlichem Erfassen und klanglicher Realisierung.

Charakteristisch und progressiv ist an der romantischen Klangästhetik, daß u. a. neue, bisher kaum beachtete Klangelemente Gewicht erhalten und auch inhaltlich eine bedeu­tende Rolle spielen, weil sie in nie dagewesenem Maße am Musikprozeß beteiligt wer­den.

 

Die wichtigsten Merkmale der romantischen Orgelklang-Gestaltung sind folgende:

 

1.  Die Dynamik erhält erstrangige Bedeutung. Statt der flächenhaften Klangbehandlung und der klassischen Werkkontraste werden progressive Steigerungen und Abschwächungen des Klanges als wichtige Bauelemente des Stückes verwendet und zugleich als Aus­drucksmittel auch in kurzen Abschnitten genutzt. Der werkmäßige Klangaufbau der Orgel wird aufgegeben und stattdessen eine dynamisch terrassenhaft gestufte Ordnung der Manuale eingeführt. Das erste, als Hauptmanual, ist das stärkste, jedes weitere ist zunehmend schwächer besetzt. Die Orgel wird als einheitlicher Klangkörper aufgefaßt, die Einzelstimmen werden in eine dynamische Hierarchie eingeordnet. Der dynamische Bereich der Orgel führt bis in Extreme: in kaum noch zu hörende Säuselregister und Sammelschaltungen aller Orgelregister zum Tutti.

2.  Im Bereich der Klangfarben entwickelt sich die Vorliebe für kleinste Unterschiede und Schattierungen innerhalb einzelner Registergruppen, für weiche, satte und dunklere Far­ben, für grundtönige Klänge mit mehr Fülle und Gravität, aber auch für streichende Klänge und solistische orchestrale Zungen. Die Dispositionen werden zunehmend grundtöniger, die 8′-Lage wird vorherrschend, höhere Fußtonlagen dienen nur zur Verstär­kung der Klangbasis. Hohe Mixturen und Zimbeln vermeidet man; krasse, scharfe und durch Obertonregister erzeugte synthetische Klänge sind unbeliebt. Die nun tiefer lie­genden und tief repetierenden Mixturen sollen lediglich die letzte Steigerung bewirken – auch sie dienen der Verstärkung des Grundtones. Auf den Tonhöhenwert der Ton­leiter wird erneut mehr Gewicht gelegt. »Hilfsstimmen« und gemischte Stimmen sollen »nur den Zweck haben, die Klangfülle durch Verstärkung der Obertöne zu vermehren, nicht aber das Gefühl für Tonhöhe in bezug auf verschiedene Oktavlagen gänzlich zu verwirren« (Hugo Riemann, Handbuch der Orgel, Berlin 1888). Von den Mixturen ver­langt man, daß sie weit mensuriert sind und nicht höher als auf 2′ anfangen. Die Oktav­chöre sollen das Übergewicht behalten, damit die Bedeutung des Haupttons eindeutig ist. Die Repetitionen werden als notwendiges Übel angesehen. Darum wird die nicht repetierende Progressio harmonica gebaut; das Kornett gilt als beliebteste gemischte Stimme – vielfach als Kornettmixtur einzige Klangkrone der kleineren Orgeln.

3.   Die Aliquoten erhalten eine andere Funktion, es kommt im Gebrauch zu einer Um­wertung. Diese nunmehr als »Neben-Register« oder »Hilfsstimmen« eingestuften Re­gister werden nicht mehr als Klangcharakteristika, sondern nur zur Unterstützung, Stär­kung und Färbung der 8′-Lage gebraucht und nie in Lückenregistrierungen, nur mit komplettem, massivem Unterbau eingesetzt. Das 16′-Register wird in jedem Manual verlangt, »da hierdurch erst die Tonfülle gesichert ist. Quintatön 16′ als einzige l6-füßige Stimme zu nehmen ist zu verwerfen, da diese keinen festen Grundton gibt« (A. Grosse- Weischede, Orgelbau, Orgelton und Orgelspiel, Bochum 1910).

4.  Die registrative Steigerung wird dementsprechend in einer anderen Reihenfolge der Register und mit dem Ziel eines stufenlosen dynamischen Anwachsens des Klanges durch­geführt. Riemann lehrt im Handbuch der Orgel: »Um zuerst von den Manualstimmen zu sprechen, so kann eine schwache Flötenstimme 8′ zuerst durch Hinzufügung von einer, zwei oder drei sanften Flötenstimmen, und zwar ebenfalls zu 8′, allmählich verstärkt werden. Erst dann würde Prinzipal 8′, dann Oktave 4′, dann Bourdon oder Gedackt 16′ hinzutreten. Eine weitere Verstärkung bringt eine Quinte 22/3 (zu Prinzipal 8′ gehörig)  gewalcker@t-online.de

 

klinda02.jpg


Schreibe einen Kommentar