Die Orgel – eine seltsame Kulturgeschichte

zu Karl-Heinz Göttert „Orgel – Kulturgeschichte eines monumentalen Instruments“

Nein, ich habe mir dieses Buch nicht gekauft, es wurde mir wegen irgendwelchen Bildern, die aus unserer Webseite dort Verwendung fanden, einfach so zugeschickt.
Jedoch habe ich noch nie ein Orgelbuch gefunden, das dermaßen viele Fehler und falsche historische Angaben beinhaltet wie dieses Machwerk von Herrn Göttert. Entsetzt frage ich mich, ob das denn kein Fachmann gegen gelesen hat? Allein aus der grausig entstellten Geschichte um die Firma Walcker, die nur leicht überflogen mehr als zehn gravierende Fehlbeschreibungen des Autors belegt, wird offenbart, dass dieses leseleichte, aber locker recherchierte Werk unbrauchbar ist. (Beispiel: Paul Walcker ging zu Sauer, weil er mit seinem Vater Krach bekommen hat? Der war zum diesem Zeitpunkt, im Jahr 1894, schon 22 Jahre unter der Erde…)
Ein unnötiges Buch, ein Plapperbuch, ein Buch mit unmöglichen Fotos und total leerem Inhalt. Also vergessen wir es. Es gibt genug anständige Orgelliteratur.

The Electric Organ v. Reg.Whitworth u.a.

Man bemerkt es kaum, wie man beinahe täglich zum einen oder anderen Buch greift.
Insbesondere wenn man sich auf längere Auslandsaufenthalte präpariert.
Ich möchte daher die ganz „selbstverständlichsten“ Bücher benennen, die mir immer wieder mit gutem Rat zur Seite gestanden haben.

An einer der ersten Stellen gilt hier „Reginald Whitworth – The Electric Organ“.
Dieses Buch hilft immer, wenn man auf anglo-amerikanische Instrumente trifft oder auf e-pneumatische Instrumente die man von Schreibtisch aus nicht ad hoc bestimmen kann.
Hier auf der nachfolgenden Seite sieht man rasch, welche Hilfestellung bei bestimmten Windladentypen und Magneten dieses Buch helfen kann.

Das Buch wurde 1948 auf 260 Seiten gedruckt, besitzt am Ende ein umfassenden englischen Index, der hilft angelsächsische Orgelbauer leicht aufzufinden.

Ebenfalls zu empfehlen eines der wenigen deutschsprachigen Bücher in Sachen „Elektropneumatik“ die nachfolgende Ausgabe aus 2012 von Kares/Kaufmann.

Man erhält einen weniger systematischen Überblick über die Elektropneumatiken von Walcker, Steinmeyer, Weigle, Seifert, Eule und eine ganz gut gelungene Dokumentation von Lenter über Restaurierungen solcher Systeme.
Das Format eignet sich nicht gut für die Darstellung größerer Zeichnungen, weswegen manche Bilddarstellung etwas unglücklich daher kommt. Aber im Großen und Ganzen ist es doch eine wichtige Quelle.

Gerne nehme ich Hinweise entgegen, welche Buchbesprechung Interesse finden würde.
gwm

Joseph Goebel „Theorie und Praxis des Orgelpfeifenklangs

Dieses Büchlein mit rund 85 Seiten und einigen Skizzen hat mich seit seinem Erscheinen im Jahr 1967 immer wieder begleitet. Es trägt sehr gut zum Verständnis von Orgeldisposition (Teiltöne) und dem Klanggeschehen bei Labial- und Zungenpfeifen bei.

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Da ich auf meinen Reisen nun so gut wie alles, was irgendwie von Belang werden könnte, digitalisiere und in iPad oder Laptop zur Verfügung haben will, entschloss ich mich dieses Buch zu scannen und als PDF zur Verfügung zu stellen.

Link für den Download (heute 17.08.17 gültigen Link eingefügt):
Joseph Goebel „Theorie und Praxis des Orgelpfeifenklangs ca. 55MB.

Beispiel Tabelle:
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gewalcker@t-online.de 18.Okt.15 (unmittelbar vor Abreise nach Costa Rica)

Bonkhoff „Historische Orgeln im Saarland“

Beeindruckt vom Gewicht, der Größe und der sehr gut gemachten Buchqualität geht es auf den Weg eines der letzten Orgelbücher zu studieren. Die Frage steht im Raum, wo wohl die 125 historischen Instrumente im Saarland aufzufinden sind.
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Nun der Begriff „historisch“, so bin ich es im Orgelbau seit 50 Jahren gewohnt, wird von jedem anders ausgelegt. Es ist eine Sprechblase, mehr nicht.
Mit der Titelbezeichnung „wichtige“ oder „bedeutende“ Orgeln des Saarlandes wäre man dem Sachverhalt näher gekommen, hätte aber eine gewisse Verunsicherung ausgelöst.
Lassen wir das Thema also, es handelt sich effektiv nur um einen kleinen Teil historischer Orgeln, der Rest sind eben „wichtige und bedeutsame“ Instrumente des Saarlandes.
Beginnen wir da, wo der Autor beginnt, beim Vorwort, wo Bonkhoff mir aus dem Herzen spricht mit „(…) Im evangelischen Bereich und das sage ich als evangelischer Pfarrer mit großem Schmerz, sieht es in Sachen Orgel oft noch viel betrüblicher aus. Aber das liegt nicht an der verschwindend geringen Zahl der Pfarrer, sondern an der Festungslanlage Pfarrhaus, die sich so manche(r) geschaffen hat. (…) Nur eine Minderzahl unter den Kollegen hat sich interessiert, engagiert und reingekniet. Die Zeit, als der Pfarrer sich in der Geschichte seiner Pfarrkirche auskannte, regelmäßig die Pfarrbeschreibung ergänzt hat und sogar die deutsche Schrift lesen konnte, ist längst vorbei. „
Mit dem nächsten Kapitel „Entwicklungsgeschichte des Orgelbaus in der Saargegend“ werden wir zunächst einmal aufgeklärt, dass das Saargebiet erst seit 1920 durch den Versailler Vertrag existiert und keine geschlossene Kulturlandschaft darstellt. Nun folgen weitere Kapitel, „Die Frühzeit bis zum 17.JH, das 18.JH, das 19.JH und das 20.JH“, die ganz hervorragend die Geschichte des Orgelbaus und der Orgelbauer dieser Gegend dokumentieren.
Der gutgemeinte Ratschlag von Pfarrer Bonkhoff auf einer der letzten Seiten dieser Kapitel, die Kirchengemeinden mögen sich doch bitte zuerst mit den Orgelbauern auseinander setzen bevor sie einen Sachverständigen kommen lassen, mutet mir jedoch aus einer größeren Realitätsferne heraus entwickelt worden zu sein. Es geht dem Sachverständigen, egal um welche Art von Orgelprojekten es sich handelt, ausschließlich um Machtdemonstration, Platzhirschgehabe, eigentlich um niederste tierische Triebe. Weist man einem Sachverständigen technische Lösungen nach, die ihm fehlerhafte Gedankenbildung überführen, so wird man erstaunt feststellen, dass daraus nie eine vernunftgemäße Richtigstellung erfolgt, sondern es folgen Konsequenzen im Sinne des Machterhalts. Ich möchte keine Verallgemeinerungen zementieren, bin aber nach wie vor der Meinung, dass sich die Kirche mit dem Orgelsachverständigenwesen, das besonders seit dem letzten Weltkrieg das freie Atmen der Orgelbaukunst radikal verhindert und negativ reglementiert und alle nonkonformen Orgelbauer terrorisiert hat, wahrlich keinen Gefallen getan.
Hier eine Musterseite „Instrumente“, linker Hand:
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und hier nun rechter Hand:
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Nun weiter mit Bonkhoff „Die Instrumente“.
Die Logik dieses wichtigsten Buchteils hat sich mir nicht erschlossen.
So beginnt dieses Kapitel mit der ältesten Orgel des Saarlandes, ein dreiregistriges Werk, das Ohlert vor zwei Jahren nach St. Ingbert gebracht hat. Auf linker Seite sind schön geordnet, Historische Substanz, Quelle, Literatur, Disposition mit Jahreszahl, rechts das Bild der Orgel. Die Fotos des Bandes, ganz allgemein, sind absolut spitze, dank den vor Ort aufgenommen Fotografien von Richard Menzel.
Ich denke, man hätte den Textteil etwas präzisieren können, indem noch eine Rubrik mit „Orgelbauer“ eingefügt worden wäre, so dass das Ganze am Beispiel Wehrden so ausgesehen hätte:
Historische Substanz: Gehäuse von 1729, ein Großteil des Pfeifenwerks von 1930
allgemeiner Text ….
Literatur ….
Orgelbauer Johann Michael Stumm, 1729, 14/II
Roethinger, 1930
Mayer, 1996, 22/II , SV Busse
Es finden sich bei Bonkhoff Bemerkungen zu einzelnen Orgeln und Arbeiten, die man nicht akzeptieren kann. So schreibt er zum Beispiel über die Bübinger Orgel, die von der Familie Stumm um 1752 stammen soll: „Das ursprünglich grau-grün marmorierte Gehäuse wurde dann weiß gefasst. 2004 führte Orgelbau S. Instandsetzungsarbeiten durch und entfernte die weiße Fassung wieder. Dafür wurde ein Teil des Gehäuses unpassend rosa marmoriert. Die Orgel verdient eine exakte Restaurierung im strengen Sinn des stummschen Originals.“ Dieser Text ignoriert nicht nur die Bedingungen, unter denen der Orgelbauer zu arbeiten hatte, sondern lädt zur Spekulation ein, dass die Restaurierung des namentlich genannten Orgelbauers insgesamt fehlerhaft war. Aber an dem Foto erkennt man, dass die Marmorierung sehr vorteilhaft ausgeführt wurde. Das Weitere sollte man als Geschmacksfrage zurückgestellt belassen.
In einem anderen Fall, es handelt sich um die Saarbrücker Ludwigskirche, wird unter Historischer Substanz: Kopie des Stumm-Gehäuses (S.64). Weiter auf Seite 254 wird erneut diese Orgel aufgeführt, hier aber steht unter Historische Substanz: erhalten, und es wird nun die Disposition von 1982, der Beckerath-Orgel gezeigt, ohne auf die vorige Seiten zu verweisen. Das verwirrt und versteht letztendlich kein Mensch.
Ich bin dem Autor aber dankbar, dass er durch seine sachlichen Darstellungen im Texteil der einzelnen Instrumente Missverständnisse aufklärt, die gerne von Kirchengemeinden unters Volk gebracht werden, wie dies am Beispiel der Orgel in der Evang. Kirche zu Völklingen der Fall ist.
Hier wird mit Orgelfahrten und anderen Veranstaltungen auf eine bedeutende „Walcker-Orgel“ von 1929 hingewiesen, ohne die ganze Wahrheit je ans Licht zu bringen. Denn diese Orgel wurde 1979 komplett neu gebaut von Schuke in Form von mechanischen Schleifwindladen und einer völlig anderen Disposition insbesondere was die Mixturengestalt betrifft. Es ist schade, dass bei einer solch wichtigen Orgel, und ich halte auch das von Schuke geschaffene Orgelwerk für immens interessant, die Dispositionen und Mixturenzusammensetzung nicht wenigstens andeutungsweise gegenüber gestellt wurden.
Hier haben wir es mit typischen Mängeln der GDO und ihren Publikationen zu tun, wo nämlich die Oberfläche schön und laut glänzen muss, aber der tiefere Zusammenhang keine besondere Rolle mehr spielen darf.
Ich könnte hier noch weitere Beispiele zeigen, meine aber, um endlich zum Schluß zu kommen, dass dieses Buch von Bonkhoff eine ganz wichtige Grundlage für die Orgeln des Saarlandes ganz allgemein darstellt und zeituntypisch uns etwas mit auf den Weg gibt, wie man es nicht mehr oft erleben wird.
gewalcker@t-online.de

Oscar Walcker – Erinnerungen eines Orgelbauers

Dieses Buch stellen wir hier kostenfrei als PDF zur Verfügung, mit allen Anlagen, die wir in dem Nachdruck Dez. 2014 neu mit eingebracht haben. Darunter der Text, die Nürnberger Kongresshalle betreffend, der im Buch von 1948 gänzlich fehlt.

Titelblatt

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Das Buch kann heruntergeladen werden:
http://walcker.com/downloads/ow_erinnerungen.pdf

Die Printvariante kann bestellt werden zum Preis von 25,– Euro incl. Versandkosten bei gewalcker@t-online.de

copyright print + online Variante (c) Gerhard Walcker-Mayer

13.12.2014

Toepfer, Die Orgel, Nachdruck von der GDO

Eine nette Geste des GDO uns Mitgliedern allen einen Nachdruck des legendären „Töpfer“  zuzustellen, ganz unvorbereitet.

Nur, das Ding ist einfach unlesbar.

Wer sich schon einmal die Mühe gemacht hat durch die „verkrümmte Sprechachse“ des Winfried Ellerhorst durchzuarbeiten , den es bei unserem Buchblog kostenfrei als PDF-Variante gibt, mit seiner nach „techno-“ und „science-“ schielenden Lauterkeit, der kann sich heutzutage des Lächelns oder eines vollen Herauslachens bei manchen Formulierungen kaum noch erwehren.

Jedenfall wird derjenige, der es geschafft hat, die verknotete Zunge Töpfers zu schätzen wissen.

Und wie schwer wiegen da manche Brocken des „Töpfer“, der, wie mir scheint, eine hohe Abstraktionsgabe besessen haben muss, um all die Messwerte, die er nie und nimmer zur damaligen Zeit messen konnte, in so deutlicher Genauigkeit angeben konnte.

Der einzige und nennenswerte, aber wichtige Gedankengang im Töpfer, ist seine Mensurenlehre, die zwar von allen Orgelbauern abgelehnt, aber auch von allen als abstraktes Monstrum in allen mir bekannten Büchern und Rechenschieber aufgetragen wird.

Ich denke, das kann man getrost in schlimmen Zeiten lesen, ohne von Pest und Cholera heimgesucht  zu werden. Immer noch besser, als all der zusammengetragene Mist, den manche Orgelbuchschreiber, gutt-like, als neues Gedankengut an Orgelmann oder Orgelfrau herantragen wollen.

Schade, dass man nicht den Band mit den Zeichnungen zum Nachdruck genommen hat, der hätte absolut mehr gebracht und wäre für Organist und Orgelbauer brauchbarer gewesen.

gwm 21.7.11

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Graziano Fronzuto – ORGANI DI ROMA –

Graziano Fronzuto – Organi di Roma, ISBN 978 88 22 5674 4, Firenze 2007, mit CD-Rom auf der in zwei PDF-Dateien 171 Bilder von verschiedenen Orgeln aus Rom und diverse Dispositionen sowie technische Erläuterungen enthalten sind. Text in italienischer Sprache.

Auf den ersten Textseiten werden die auf der CD-Rom enthaltenen Orgelbilder in Form einer Liste dargestellt. Es werden außerdem die verschiedenen Quellen und Bibliographien aufgeführt.

Schwerpunkte im Textbuch stellen die Orgeln der Hauptkirchen,

S. Giovanni in Laterano (Geschichte, Grundriss der Kirche mit Angaben wo die Orgeln zu finden sind, Geschichte des Orgelbaus, Dispositionen der  verschiedenen Orgeln, am Ende Bilder der verschiedenen Orgeln)

S.Maria Maggiore (Darstellung wie oben, aber ergänzt mit Quellen und Internetseiten)

S.Paolo Fuori le Mura (Darstellung wie oben)

S.Pietro in Vaticano  (Darstellung wie oben)

Namensverzeichnis

Dieses Buch, dass Graziano Fronzuto mir noch rechtzeitig vor den Feiertagen zukommen ließ, schließt eine wichtige Lücke, in der die reiche Anzahl an Orgeln in Rom in einer Schrift  (Text und Digital) aufbereitet wird. Eine Liste mit Kirchen und Orgelerbauer erleichtert das Auffinden bestimmter Spuren.

Da auch verschiedene Dispositionen vorhanden sind, die man nicht einfach auf dem Netz der Netze findet, und Hinweise auf die Historie ausführlich abgehandelt werden, erscheint mir dieses Buch besonders wichtig. Denn in Italien gibt es nicht wie in Deutschland eine reichhaltige Orgelliteratur.

gewalcker@t-online.de

 

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Klinda, Ferdinand Orgelregistrierung

Dieses Buch, das 1995 bei Breitkopf&Härtel in der 2.Auflage erschienen ist, was ganz sicher bei der gegenwärtigen Orgelliteratur eine besondere Auszeichnung ist, hat mich von Beginn an zutiefst begeistert.

Wir erfahren hier nicht nur etwas über die Orgelregistrierungen sondern ebenso über Orgelklang und Orgelgestalt. Und das natürlich immer, da sich das Buch zuerst einmal  an den Orgelspieler wendet, im Kontext zur Orgelliteratur, sprich zum Notenmaterial und den Kompositionen die für Orgel geschrieben wurden.

Also Historie, Orgeltyp- und Komposition, sein Klang und seine Beziehung zu den bestimmten Ländern und Zeiten darzustellen und  in einer dermaßen leicht zu lesenden Schrift zusammenzufassen, das war ein großes Kunststück, das Ferdinand Klinda hier gelungen ist.

Hier zunächst das Inhaltsverzeichnis des Buches:

Teil I Allgemeines zur Klanggestaltung

Einleitung

Historische Grundlagen der Registrierkunst

Theorien des Registrierens

Orgelbaukundliche Erkenntnisse

Probleme der Stimmungen

Registermischungen

Klangwechsel

Raumakustische Betrachtungen

Hörpsychologische Betrachtrungen

Der gute Geschmack

Teil II Stilregistrierungen

Registrierungen mittelalterlichen Orgelmusik

Registrierungen italienischer Orgelmusik des 16. bis 19.JH

Registrierungen niederländischer Orgelmusik des 16. bis 18.JH

Registrierungen  französischer Orgelmusik des 17. und 18.JH

Registrierungen englischer Orgelmusik des 16. bis 18.JH

Registrierungen spanischer Orgelmusik des 16. bis 18. JH

Registrierungen deutscher Orgelmusik des 16. bis 18.JH

Zur Registrierung de Orgelwerke Johann Sebastian Bachs

Registrierungen polnischer Orgelmusik des 17. und 18.JH

Registrierung der Orgelmusik des 19.JH

Registrierung der Orgelmusik des 20.JH

Klinda, Ferdinand (1995): Orgelregistrierunge /// Orgelregistrierung. Klanggestaltung der Orgelmusik /// Klanggestaltung d. Orgelmusik. 2., verb. Aufl. Wiesbaden u.a: Breitkopf & Härtel

 

Ich möchte auf unseren Blog über italienische Orgelregistrierung verweisen, wo ein größerer Auszug aus dem Buch vorgenommen wurde:

Grundlagen der klassischen italienischen Orgel und ihre Parallelen in Santa Cecilia

 Und ich möchte einen weiteren Auszug geben aus Kapitel 21 – Registrierungen der Orgelmusik des 19.JH.    

Kapitel 21

Registrierungen der Orgelmusik des 19.Jahrhunderts

 

Der für die Orgelmusik des 19.JH verwendete Begriff Orgelromantik schließt in sich viele unterschiedliche Stilmerkmale ein; darum bedeutet er kaum mehr als eine Sammelbezeichnung für einen allgemeinen, bereits im Bach-Zeitalter sich anbahnenden Entwicklungstrend. Die Musik des 19.JHs mit ihren  neuen inhaltlichen, kompositorischen und spieltechnischen Elementen entspringt einem geänderten Klangideal. Weil dies aber in krassem Widerspruch zu den Prinzipien der klassischen Orgelkunst steht, wurde die ganze Epoche der Orgelromantik, zumindest in Deutschland, aus der Sicht der Orgelerneuerungsbestrebungen des 20. Jahrhunderts lange als Verfallserschei­nung betrachtet und abgelehnt.

 

Die Klangwelt der Orgelromantik ist tatsächlich andersgeartet als die der vorherigen und nachfolgenden Epochen und kann nicht mit deren Maßstäben gewertet werden. Das Musikschaffen in der Zeit der Romantik basierte auf eigenen ästhetischen Grundsätzen und zielte auf andere Emotionsbereiche. Mit absoluten Wertschätzungen, mit klassischen Begriffen der Orgelkunde oder mit Berufung auf ein »immanentes Gesetz der Orgel« kann man nicht zum Verständnis der romantischen Orgelmusik gelangen. So wie in allen früheren Zeiten sind auch der romantische Orgelklang und seine Anwendung ein inte­grierter, unverwechselbarer Bestandteil der Epoche. Gewiß wird diese Musik auch auf anderen Orgeltypen gespielt – das ist das Schicksal aller Orgelmusik -, doch kann sie nicht nachträglich aus einem späteren Ideal erklärt oder »nachgestaltet« werden. Zum rechten Verständnis kommt man auch hier nicht ohne das Bewußtwerden der Einheit von inhaltlichem Erfassen und klanglicher Realisierung.

Charakteristisch und progressiv ist an der romantischen Klangästhetik, daß u. a. neue, bisher kaum beachtete Klangelemente Gewicht erhalten und auch inhaltlich eine bedeu­tende Rolle spielen, weil sie in nie dagewesenem Maße am Musikprozeß beteiligt wer­den.

 

Die wichtigsten Merkmale der romantischen Orgelklang-Gestaltung sind folgende:

 

1.  Die Dynamik erhält erstrangige Bedeutung. Statt der flächenhaften Klangbehandlung und der klassischen Werkkontraste werden progressive Steigerungen und Abschwächungen des Klanges als wichtige Bauelemente des Stückes verwendet und zugleich als Aus­drucksmittel auch in kurzen Abschnitten genutzt. Der werkmäßige Klangaufbau der Orgel wird aufgegeben und stattdessen eine dynamisch terrassenhaft gestufte Ordnung der Manuale eingeführt. Das erste, als Hauptmanual, ist das stärkste, jedes weitere ist zunehmend schwächer besetzt. Die Orgel wird als einheitlicher Klangkörper aufgefaßt, die Einzelstimmen werden in eine dynamische Hierarchie eingeordnet. Der dynamische Bereich der Orgel führt bis in Extreme: in kaum noch zu hörende Säuselregister und Sammelschaltungen aller Orgelregister zum Tutti.

2.  Im Bereich der Klangfarben entwickelt sich die Vorliebe für kleinste Unterschiede und Schattierungen innerhalb einzelner Registergruppen, für weiche, satte und dunklere Far­ben, für grundtönige Klänge mit mehr Fülle und Gravität, aber auch für streichende Klänge und solistische orchestrale Zungen. Die Dispositionen werden zunehmend grundtöniger, die 8′-Lage wird vorherrschend, höhere Fußtonlagen dienen nur zur Verstär­kung der Klangbasis. Hohe Mixturen und Zimbeln vermeidet man; krasse, scharfe und durch Obertonregister erzeugte synthetische Klänge sind unbeliebt. Die nun tiefer lie­genden und tief repetierenden Mixturen sollen lediglich die letzte Steigerung bewirken – auch sie dienen der Verstärkung des Grundtones. Auf den Tonhöhenwert der Ton­leiter wird erneut mehr Gewicht gelegt. »Hilfsstimmen« und gemischte Stimmen sollen »nur den Zweck haben, die Klangfülle durch Verstärkung der Obertöne zu vermehren, nicht aber das Gefühl für Tonhöhe in bezug auf verschiedene Oktavlagen gänzlich zu verwirren« (Hugo Riemann, Handbuch der Orgel, Berlin 1888). Von den Mixturen ver­langt man, daß sie weit mensuriert sind und nicht höher als auf 2′ anfangen. Die Oktav­chöre sollen das Übergewicht behalten, damit die Bedeutung des Haupttons eindeutig ist. Die Repetitionen werden als notwendiges Übel angesehen. Darum wird die nicht repetierende Progressio harmonica gebaut; das Kornett gilt als beliebteste gemischte Stimme – vielfach als Kornettmixtur einzige Klangkrone der kleineren Orgeln.

3.   Die Aliquoten erhalten eine andere Funktion, es kommt im Gebrauch zu einer Um­wertung. Diese nunmehr als »Neben-Register« oder »Hilfsstimmen« eingestuften Re­gister werden nicht mehr als Klangcharakteristika, sondern nur zur Unterstützung, Stär­kung und Färbung der 8′-Lage gebraucht und nie in Lückenregistrierungen, nur mit komplettem, massivem Unterbau eingesetzt. Das 16′-Register wird in jedem Manual verlangt, »da hierdurch erst die Tonfülle gesichert ist. Quintatön 16′ als einzige l6-füßige Stimme zu nehmen ist zu verwerfen, da diese keinen festen Grundton gibt« (A. Grosse- Weischede, Orgelbau, Orgelton und Orgelspiel, Bochum 1910).

4.  Die registrative Steigerung wird dementsprechend in einer anderen Reihenfolge der Register und mit dem Ziel eines stufenlosen dynamischen Anwachsens des Klanges durch­geführt. Riemann lehrt im Handbuch der Orgel: »Um zuerst von den Manualstimmen zu sprechen, so kann eine schwache Flötenstimme 8′ zuerst durch Hinzufügung von einer, zwei oder drei sanften Flötenstimmen, und zwar ebenfalls zu 8′, allmählich verstärkt werden. Erst dann würde Prinzipal 8′, dann Oktave 4′, dann Bourdon oder Gedackt 16′ hinzutreten. Eine weitere Verstärkung bringt eine Quinte 22/3 (zu Prinzipal 8′ gehörig)  gewalcker@t-online.de

 

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Thomas Lipski „Die Konzertsaalorgel in Deutschland“

Thomas Lipski „Die Konzertsaalorgel in Deutschland – von den Anfängen im 19.Jahrhundert bis in den II.Weltkrieg“ ISBN-13-978-3-928243-33-9 

und als Ebook ISBN-13-978-3-928243-34-6 (kann geordert werden bei www.vpe-web.de ) —       ein großer Wurf, ein gutes Buch, ein wichtiges Buch. Warum?

Man könnte meinen, dass dieses Buch zur richtigen Zeit erscheint. Zu einer Zeit in der man sich anschickt, die Orgel wieder einmal aus der säkularen Perspektive sehen zu wollen-  um so wenigsten die Orgel vor den Flutungen der Kirche  zu retten. Wie einst symbolisch die Titanic-Orgel  gerettet werden sollte, weil der Orgelbauer andere Probleme hatte, als eine Schiffsreise nach Neu-York.

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Aber lassen wir diese Diskussion. Denn Reden über Orgel wird auch in Zukunft und vielleicht auch in hundert Jahren ein Reden sein über die Orgeln des 17. bis 19. Jahrhundert.

Wobei uns nun Thomas Lipski vielleicht die Tür aufgemacht hat, auch Orgeln zu sehen und zur Kenntnis zu nehmen, die ohne dieses Buch unseren Blickwinkel nicht mehr erreicht hätten.

Ich weiß nicht, ob in einer postindustriellen Zeit überhaupt noch das Interesse für solcherlei pluralistische Ausformungen der Orgelvielfalt erhalten bleiben wird, oder ob es wie in manchen Orgelkonzerten zugeht, wo sieben wackere Orgelklangfetischisten das Fähnlein der Getreuen halten.

Aber sicher weiß ich, dass bis dato kaum ein Orgelbuch erschienen ist, das in derartig guter Aufmachung, in solch grundsolider Recherche und dazu noch eines der spannendsten Kapitel der deutschen Orgelgeschichte sachgerecht serviert. Dabei wird auch verstanden die Spannung wie in einem Kriminalroman bis ans Ende aufrecht zu erhalten.

Ganz großen Dank an Thomas Lispki für diese mühselige Kleinarbeit, die wieder einmal zeigt, was gute Musikwissenschaftler zu leisten in der Lage sind.

Es war mir eine unheimliche Freude, im Laufe der letzte vier oder fünf Jahre ab und zu mit Thomas Lispki über dieses Buchprojekt telefonieren zu können, weil das Thema mich immer schon interessiert hatte.

Auch später deshalb, weil wir mit unseren Orgeltätigkeiten einen gewissen Höhepunkt nach dem Untergang des Hauses Walcker im Jahre 1999 in der Restaurierung der Walcker-Konzertsaal-Orgel in Bukarest hatten, was übrigens zur Folge hatte, dass wir heute an der Konzertsaalorgel in Rom, Santa Cecilia tätig sein dürfen, die  leider nur noch das Gehäuse von Walcker hat, dafür aber einer ganz eigenwilligen Idee  des großen Lehrers und Orgelspielers Fernando Germani in Sachen „Neobarockorgel“ folgt.

Für alle Fachleute, die das alles weniger interessieren wird, sei gesagt, dass in diesem Buch rund achtzig Orgeln besprochen werden und in System und Disposition beschrieben sind.

Das Buch hat insgesamt 437 Seiten. Es beginnt im I.Teil mit Historischen Aspekten (in England, Frankreich, die Reformbewegungen im 20Jh., Konzert – und Saalorgel des Dritten Reichs). Im II. Teil werden besprochen, die Akustik der Konzertsäle, Prospektgestaltungen und Positionierungen im Konzertsaal, es werden alle technischen Windladensysteme erläutert. Dazu kommen Erklärungen zu Spieltischeinrichtungen, Windversorgung, pneumatische Balanciers und elektrische Trakturen. Auf über 25 Seiten wird sehr dezidiert auf die klanglichen Innovationen eingegangen.

Hier ist sehr interessant die Erläuterung des dynamischen Dispositionsprinzips und leider etwas zu wenig, die Bedeutung der Mensuren. (würde aber den Rahmen des Buches sicher sprengen).

Der wichtigste und bedeutendste Teil ist natürlich der III. Teil, die Dokumentation der verschiedenen einzelnen Orgeln.

Das ist auch sehr gut mit den schwarz-weißen Fotos gelungen, die gut ins Buch integriert wurden.

Nach meiner Zählweise sind es 75 Orgeln bis 1945, dann werden noch die historischen und neugestalteten Orgeln in Wien Musikverein, Wien Konzerthaus, Salzburg Mozarteum und Zürich Tonhalle sehr gut mit Dispositionen erwähnt.

Ich denke, dass man die ersten beiden Teile des Buches mit größter Freude und erheblichem Gewinn rasch durchlesen wird und das der III.Teil für viele Leser seine Spezialitäten haben wird, die man einfach wissen will. Dann aber steht das Buch als gutes Nachschlagewerk im Regal, das bei vielen Fragen umfangreiche und genaue Antworten weiß.

 

gwm (bei 35Grad in Rom)